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Bunzel-Media > Texte (Journalistisch) > Interview 09/22: Hr-Leiterin Schuchard Über Homeoffice

Homeoffice gefährdet die Bindung zum Unternehmen

Interview mit Irina Schuchardt, Personalleiterin eines IT-Systemhauses in Osnabrück

Schuchardt: "Die Videokonferenzen, die wir haben, sind supi. Aber das ist nicht alles." © Grafik: Alexandra Koch, pixabay

Thilo Bunzel: Frau Schuchardt, seit Anfang 2020 erfordert die Coronapandemie überall in der Arbeitswelt Veränderungen. Wo lagen die besonderen Herausforderungen bei dem IT-Dienstleister, dessen Personalabteilung sie seit 2009 leiten?

Irina Schuchardt: Die zwei größten Veränderungen der letzten 13 Jahre, das Anwachsen von 120 auf 280 MitarbeiterInnen sowie die Digitalisierung und Zertifizierung aller unserer Geschäftsprozesse konnten wir planen, die Pandemie nicht. Corona kam schlagartig. Auf einmal hieß es: "Alle ins Homeoffice!".

Gab es schon vorher eine Betriebsvereinbarung (BV) zum Homeoffice?

Schuchardt: Ja. Sie besagte, dass man bis maximal 60% der wöchentlichen Arbeitszeit im Homeoffice verbringen darf. Das wurde aber nicht viel genutzt.

Gab es Vorbehalte, Homeoffice-Anträge zu genehmigen?

Schuchardt: Sicher, es gab unter den Führungskräften viele Vorbehalte wie: „Homeoffice geht nicht, da hab ich die Leute nicht unter Kontrolle“. Da wurden wirklich Anträge abgelehnt. Und es gab Vorbehalte gegen eine Länge von 2 bis 3 Tagen pro Woche, oft aus fehlender Erfahrung. Denn als Corona kam, ging es plötzlich.

Wie viele MitarbeiterInnen waren während der Lockdowns im Homeoffice?

Schuchardt: Ich würde schätzen vor Corona durften 10% Homeoffice machen und während der Lockdowns rund 90%. Und wo es nicht ging, wurden A- und B-Teams gebildet. Im Fall der Ansteckung eines Teams hatte man das andere als Backup.

Waren Sie auch im Homeoffice?

Schuchardt: Ja, ich hatte schon vorher einen Sonderstatus. Ich habe 2 Kinder und als ich 2013 nach der Geburt des ersten aus der Elternzeit kam, durfte ich 2 Tage pro Woche Homeoffice machen. Dieses hybride Arbeiten ist für mich perfekt. An den Präsenztagen werden alle Termine abgearbeitet und im Homeoffice mache ich Konzepte, BVs usw..

Arbeitet man im Homeoffice insgesamt produktiver?

Schuchardt: Das ist schwer zu greifen. Aus Studien und eigenem Erleben weiß ich, dass die Leute produktiver sind. Die Ablenkung ist geringer, außer bei einer Doppelbelastung durch Homeschooling. Das funktioniert nicht.

Im März 2022 ist die Homeoffice-Pflicht entfallen. Was gilt seitdem?

Schuchardt: Zur Zeit gilt bis Ende September, dass jede/r bis zu 100% Homeoffice machen kann. Aber die BV wird überarbeitet. Der ursprüngliche Prozentsatz von 60% wird bleiben. Aber in Absprache mit dem Vorgesetzten soll es möglich sein, darüber hinauszugehen.

Wird die Homeoffice-Regelung flexibler, weil die Vorbehalte weggefallen sind?

Schuchardt: Das ist unterschiedlich. Viele sagen, Corona habe gezeigt, dass es funktioniert. Aber die Vorbehalte sind nicht ganz weg, weil man festgestellt hat, dass die Mitarbeiter die Bindung zum Unternehmen verlieren. Laut aktueller Studien gab es nie so viele wechselwillige Arbeitnehmer wie im Moment.

Weil auch die sozialen Bindungen der MitarbeiterInnen untereinander gelitten haben?

Schuchardt: Vieles konnte lange nicht stattfinden: zusammen die Maiwoche zu besuchen oder einen Pizza-Abend zu machen. Ich würde das auf sozialer wie fachlicher Ebene unter dem Begriff fehlender Kommunikation zusammenfassen. Der Schwachpunkt von zu viel Homeoffice liegt beim Thema Führung: Wie kann man Führung so gestalten, dass hybride Teams funktionieren und die MitarbeiterInnen nicht abwandern? Die Videokonferenzen, die wir haben, sind supi. Aber das ist nicht alles. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Und manchmal muss man den ganzen Menschen sehen, nicht nur sein Kamerabild.

Hat sich die soziale Isolierung im Krankenstand gespiegelt?

Schuchardt: Nein, ohne die Covid-19-Fälle ist der Krankenstand in der Zeit sogar gesunken. Vielleicht weil die Hemmschwelle wegfiel, zur Arbeit zu fahren. Dann macht man im Homeoffice doch ein paar Stunden.

Am Stammtisch sagt man, die Firmen seien fein raus, die hätten weniger Ausgaben für Räume und Strom. Stimmt das?

Schuchardt: Definitiv. Eigentlich müssten wir jedem/r unserer ständig mehr werdenden MitarbeiterInnen einen eigenen Arbeitsplatz anbieten. Jetzt können wir darauf verzichten, weil nicht alle die ganze Zeit da sind. Die Überlegungen gehen zu flexiblen Büros, zum Beispiel 4 Plätze für 6 Leute, die das Wer und Wann absprechen. Das funktioniert ganz gut. Wir haben es getestet.

Wie geht es in der Arbeitswelt insgesamt weiter? Arbeitsminister Heil fordert ein Recht auf Homeoffice …

Schuchardt: Schöne Überlegung des Ministers, für IT-Dienstleister aber unnötig. Die produzierenden Unternehmen dagegen beordern ihre Leute zurück. Wichtiger ist die Digitalisierung. Das ist die Voraussetzung für das Homeoffice. Ohne die Ausrüstung mit Kommunikationsmitteln und die Digitalisierung aller Arbeitsprozesse kann hybrides Arbeiten nicht funktionieren. Wenn Arbeitsminister Heil das Recht auf Homeoffice umsetzen möchte, dann sollte er und sein Kabinett vorher die Digitalisierung angehen.


[Das Interview mit Irina Schuchardt führte Thilo Bunzel am 13.09.2022 im Bennohaus Münster. Die Titelgrafik stammt von Alexandra Koch auf Pixabay]